„Unternehmer und Manager neigen wie andere Leistungseliten dazu, ihre persönlichen Grenzen mit Pillen erweitern zu wollen“, sagt Prof. Dr. Curt Diehm, Ärztlicher Direktor der Max Grundig Klinik. Diehm, der seit Jahrzehnten Führungskräfte der Wirtschaft allgemeinmedizinisch behandelt, sagt weiter: „Ich habe den Eindruck, dass vor dem Hintergrund des zunehmenden Drucks in den Unternehmen die Bereitschaft wächst, an den Giftschrank zu gehen, um möglicherweise seine Leistungs- und Schaffenskraft zu erhöhen.“
Gleichzeitig bleibt der regelmäßige Konsum von Substanzen, die der Leistungssteigerung, Regeneration oder auch der Verbesserung der Schlafqualität dienen, weiterhin ein Tabuthema. Dr. Susanne Krömer, Leiterin der Psychosomatischen Abteilung der Max Grundig Klinik, sagt: „Es gibt für den deutschsprachigen Raum keine evidenzbasierte Studie, die belegt, wie viele Führungskräfte zu welchen Mitteln greifen. Allerdings fällt mir in der Behandlungspraxis auf, über welches fachliche Wissen Manager zu einzelnen Präparaten verfügen.“
Im Folgenden stellen Prof. Dr. Diehm und Dr. Krömer häufig von Führungskräften eingesetzte „Doping“-Mittel vor, nennen die Wirkungen dieser „Manager-Medikamente“ und zeigen vor allem die Gefahren auf.
Benzodiazepine
Die Gruppe der Benzodiazepine mit Präparaten wie Tavor, Valium oder Lexotanil sind schon lange unter Managern im Einsatz. Es handelt sich um hochwirksame Beruhigungsmittel und Angstlöser. Vor allem Tavor ist in US-amerikanischen Managerkreisen, aber auch zunehmend in Deutschland, weit verbreitet. Tavor hat auch deshalb Konjunktur, weil es gegen die (Über)Belastungen des stressigen Arbeitsalltags und gegen den zunehmenden Druck Hilfe verspricht.
Aber! Tavor und andere Benzodiazepine machen in relativ kurzer Zeit abhängig und können bei langfristiger Einnahme ernsthaft schädigen. Tavor sollte allenfalls als Notfallmedikament genommen werden, etwa bei akuter schwerer Stressbelastung oder schwerwiegenden Schlafstörungen und auch dann unbedingt in Absprache mit einem Arzt.
Melatonin
Das gerne in Zusammenhang mit Interkontinentalflügen eingenommene Melatonin fördert den Tag-Nacht-Rhythmus. Es hilft, bei Jetlag schneller wieder in die Wach-Schlaf-Phasen zu kommen. Melatonin ist zudem ab einem Alter von 55 Jahren auch zur Behandlung von generellen Schlafstörungen zugelassen.
Wenn auch nicht so schädigend wie Tavor, ist auch das verschreibungspflichtige Melatonin keineswegs harmlos, Langzeitstudien über die Nebenwirkungen fehlen bislang.
Neuro Enhancer
Neuro Enhancer werden auch „Doping für´s Gehirn“ genannt. Präparate wie Ritalin oder Modafinil erhöhen die kognitive Leistungsfähigkeit, sie machen wacher, konzentrierter und verbessern das Gedächtnis. Insofern sind Neuro Enhancer ideale „Managerdrogen“, die tatsächlich in erheblichem Umfang eingesetzt werden.
Auch Amphetamine, die den Neuro Enhancern ähnlich und aus der Partyszene als Speed bekannt sind, gehören zu dieser Kategorie an Präparaten. Amphetamine werden vornehmlich in Branchen eingenommen, die durch eine intensive Projektarbeit geprägt sind, sowie von jüngeren Managern der mittleren Ebene. Wenn etwa bei Unternehmensberatungen oder Werbeagenturen Deadlines anstehen, sind Ritalin, Modafinil oder Amphetamine im Einsatz, um den Körper zu überlisten.
So sind Neuro Enhancer derzeit im Trend, nicht nur in den USA. „Ein Problem ist, wieder runter zu kommen, oft finden Patienten kaum noch Schlaf“, sagt Dr. Krömer. Andere Nebenwirkungen, ergänzt Prof. Diehm, „reichen von Kopfschmerzen, Reizbarkeit, Herzrhythmusstörungen bis zur Auslösung von Angstzuständen.“ Die Psyche stimulierende Präparate können auch das Verhalten verändern. Eher ruhige Zeitgenossen agieren plötzlich euphorisch. Amphetamine machen überdies abhängig. Ritalin sollte nur nach Verschreibung eines auf das ADHS Syndrom spezialisierten Facharztes eingenommen werden.
Kokain
Die Wirkung von Kokain lässt sich mit der von Neuro Enhancern vergleichen, bei dieser Droge kommt jedoch noch der soziale Faktor hinzu. Gerade in Branchen, in denen Führungskräfte immer funktionieren müssen, in denen man nicht ausfallen darf und wo Ergebnisse der einzige Maßstab ist, ist der Konsum von Kokain kein Tabu. So gilt der Bankenplatz Zürich, das Investmentbanking in London und an anderen Knotenpunkten von Macht und hohen Einkommen als besonders durchdrungen. Dr. Krömer: „Man sollte sich über die Verbreitung von Kokain nichts vormachen. Es handelt sich nicht nur um eine Partydroge, wenn schon auf den Toiletten des Deutschen Bundestages erhöhte Mengen nachgewiesen wurden.“ Allerdings besitzen einzelne Gruppen von Führungskräften eine sehr unterschiedliche Affinität zu dieser Droge. „Für schwäbische Unternehmer wäre das sicherlich nichts,“ schmunzelt Prof. Diehm.
Die große Gefahr: Regelmäßiger Konsum führt in die Abwärtsspirale des immer mehr und immer häufiger. Dabei nehmen Banker, Berater und Manager oft über Jahre Kokain, ohne dass ihr Umfeld diesen Missbrauch entdecken würde. Bis zum Zusammenbruch.
Alkohol
Ein zu viel an Alkohol ist in weiten Kreisen der Wirtschaft eher aus der Mode gekommen. „Früher war Alkohol quasi das Einzige, was Führungskräfte sozial akzeptiert auch in größeren Mengen konsumieren konnten,“ sagt Prof. Diehm. Die Akzeptanz, Alkohol auch öffentlich zu trinken, ist zwar auch heute noch hoch, er wirkt sich jedoch auf Leistung und Wohlbefinden negativ aus. Dr. Krömer: „Kein vernünftiger Mensch setzt Alkohol als „Dopingmittel“ ein, wenn dieser offensichtlich ineffizient ist oder sogar kontraproduktiv wirkt.“
Zwar kann Alkohol Spannungen reduzieren, Stress abbauen und in Maßen auch das Einschlafen beschleunigen, die Nachteile sind aber weithin bekannt und erheblich. Der regelmäßige Konsum von mehr als einem Glas Bier oder Wein am Tag schädigt alle Organe, insbesondere Hirn und Leber, der „Kater“ lähmt die normalen Alltagstätigkeiten und zu viel Alkohol am Abend führt zu Durchschlafstörungen. Prof. Diehm: „Unter dem Leistungsaspekt ist die Bilanz von Alkohol, jenseits von kleineren Mengen, also wenig berauschend.“ Auch ist bei langem hohem Alkoholkonsum der körperliche und geistige Verfall schleichend und irreversibel.
Für den Stressabbau am Abend rät Dr. Krömer zu einer Einheit Sport als wesentlich klügerer Alternative – allerdings nicht unmittelbar vor dem Schlafen.
Antidepressiva
Führungskräfte setzen bisweilen Medikamente wie Cipralex, Zoloft oder Mirtazapin ein, die eigentlich für die Behandlung von Depressionen entwickelt wurden. Die Erwartung ist, dass diese Mittel die Stimmung heben, den inneren Antrieb verbessern und als „Happy Pillen“ wirken.
Tun sie aber nicht! Die Präparate sind teilweise exzellent geeignet, Depressionen in den Griff zu bekommen – immerhin 20 Prozent der Bevölkerung und damit auch 20 Prozent der Manager haben zumindest einmal im Leben eine depressive Phase – wirken auf Patienten ohne diese Krankheit aber so gut wie gar nicht. Auch selbst diagnostiziertes Burn-out Syndrom mit Antidepressiva zu bekämpfen, ist keine sinnvolle Idee, sagt Dr. Krömer. Die gute Nachricht: Die unsachgemäße Einnahme von Antidepressiva ist wesentlich weniger schädlich wie die Gruppe Tavor, Valium, Lexotanil – so macht diese Medikamentengruppe beispielsweise nicht abhängig.
Unter ärztlicher Aufsicht können Antidepressiva möglicherweise dazu dienen, Schlaflosigkeit zu lindern, haben über einen längeren Zeitraum aber die Nebenwirkung, dass sie zu Gewichtszunahme führen.
Nahrungsergänzungsmittel
In einer kürzlich von der Max Grundig Klinik durchgeführten Befragung gaben 27 Prozent der Führungskräfte an, regelmäßig Nahrungsergänzungsmittel zu nehmen, um die Leistungsfähigkeit zu steigern. Prof. Diehm kommentiert: „Nahrungsergänzungsmittel sind außer in bestimmten Fällen und Indikationen unnötig, nutzlos und gelegentlich sogar gefährlich.“ Ob Omega 3, Vitamine oder Spurenelemente, in einer ausgewogenen Ernährung ist im Prinzip alles drin, was der Körper braucht. Dass dennoch so viele Manager den Griff zu diesen Pillen tätigen, ist ein guter Beleg für die These, dass die Bereitschaft, sich für den Beruf „zu dopen“ verbreitet ist, zumindest verbreiteter als früher.
Pressemitteilung Max-Grundig-Klinik, Bühl